Globale Sturzleitlinie erstmals veröffentlicht

96 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 39 Ländern haben gemeinsam die erste globale Sturzleitlinie veröffentlicht. In der Leitlinie wurden neue Empfehlungen aufgestellt, die sämtliche soziodemografischen Unterschiede der Weltbevölkerung berücksichtigen.

Globale Sturzleitlinie veröffentlicht

Kürzlich wurde die erste globale Leitlinie zur Sturzprävention veröffentlicht. Daran mitgewirkt haben insgesamt 96 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 39 Ländern. Auch ein deutscher Wissenschaftler war darunter: der Altersmediziner Professor Clemens Becker, Sturz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG).

Hintergrund

Stürze und sturzbedingte Verletzungen sind bei älteren Menschen häufig, haben negative Auswirkungen auf die funktionelle Unabhängigkeit und Lebensqualität und sind mit einer erhöhten Morbidität, Mortalität und gesundheitsbezogenen Kosten verbunden. Die aktuellen Richtlinien sind uneinheitlich. Bislang lagen keine aktuellen, weltweit gültigen Richtlinien vor.

Wichtigste Punkte der globalen Sturzleitlinie

Die Weltbevölkerung altert. Stürze und damit verbundene Verletzungen treten immer häufiger auf, was ihre Prävention und Behandlung zu einer kritischen globalen Herausforderung macht.

Eine opportunistische Fallfindung ist notwendig, da ältere Erwachsene nach einem Sturz möglicherweise nicht mehr vorstellig werden und Stürze nur ungern melden.

Multidimensionale Interventionen, die auf die individuellen Risikofaktoren zugeschnitten sind, sind effektiv, wenn sie durchgeführt werden.

Es ist wichtig, die Überzeugungen, Einstellungen und Prioritäten älterer Menschen in Bezug auf Stürze und deren Management einzubeziehen.

Die Anwendung einiger dieser Empfehlungen muss möglicherweise geändert werden, um die Einstellungen für niedrige Ressourcen und die Bedürfnisse des Landes zu erfüllen.

Ein Kind braucht ein Jahr, um sich selbstständig zu bewegen, und zehn Jahre, um selbständige Mobilität zu erlangen. Ein älterer Mensch kann beides an einem Tag verlieren” Professor Bernard Isaacs (1924–1995)

20 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen aufgrund eines Sturzes

Nach Professor Clemens Becker gibt es in Deutschland jährlich eine halbe Million Krankenhauseinweisungen, die unmittelbar auf einen Sturz zurückzuführen sind. Viele ältere Menschen versterben an den Folgen. „Durch eine frühzeitige Prävention – also gezielter Vorsorge – könnten wir die Zahl der Einweisungen um 20 Prozent reduzieren“, so der Sturzexperte. Dafür haben die Experten mit der globalen Sturzleitlinie nun neue Empfehlungen aufgestellt, die sämtliche soziodemografischen Unterschiede der Weltbevölkerung berücksichtigen. Veröffentlicht wurde die neue Leitlinie am 30.09.2022 im Rahmen des Kongresses der European Geriatric Medicine Society (EuGMS) in London.

Empfehlungen für Deutschland: Jährliche Hausarzt-Befragung und Ganganalyse

Insbesondere für Industrieländer wie Deutschland ergeben sich nun diese Empfehlungen: Alle älteren Erwachsenen sollten wesentlich umfänglicher als bisher zur Sturzprävention und körperlichen Aktivität beraten werden. Mindestens einmal im Jahr sollte der Hausarzt betroffene Patienten nach Stürzen oder Sturzrisiken befragen. Zur Untersuchung sollte auch eine Ganganalyse gehören. „Wir wissen: Unterschreitet das Schritttempo 0,8 Meter in der Sekunde, steigt das Sturzrisiko“, so Becker, Leiter der Forschung zur Mobilität des Menschen am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und Leiter des Bereichs Digitale Geriatrie am Universitätsklinik Heidelberg. „Außerdem sollten Menschen mit Demenz oder Parkinson unbedingt Zugang zu systematischen Trainingsprogrammen erhalten.“ Betroffene sollten eine gezielte Physiotherapie und Übungsprogramme durchlaufen. Insbesondere für ältere Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Pflegeheimen soll es eine auf den individuellen Gesundheits- oder Krankheitszustand zugeschnittene Prävention für das Sturzrisiko geben. „Personen mit hohem Risiko sollte eine umfassende multifaktorielle Bewertung angeboten werden, um eine personalisierte und fachübergreifende medizinische Behandlung zu gewährleisten. Damit ließe sich das zukünftige Sturzrisiko dieser Personen erheblich reduzieren“, so Clemens Becker.